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Ein Meilenstein für die Verteidigung in Bußgeldverfahren?

Der Vorlagebeschluss des OLG Saarlandes: Wegweisend für die Bußgeldverteidigung?

Die Kontroverse um fehlende Rohmessdaten

Das Oberlandesgericht Saarbrücken hat am 29. Oktober 2024 einen bedeutsamen Vorlagebeschluss (Az. 1 Ss (OWi) 112/24) an den Bundesgerichtshof gerichtet, der die Grundfesten der Bußgeldpraxis erschüttern könnte. Im Zentrum steht eine fundamentale Frage: Dürfen Messergebnisse von Geschwindigkeitsmessgeräten verwertet werden, wenn keine Rohmessdaten zur Überprüfung verfügbar sind?

Der saarländische Sonderweg

Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes hatte bereits 2019 mit seinem wegweisenden Urteil (Lv 7/17) eine klare Position bezogen: Ohne speicherbare und überprüfbare Rohmessdaten verstoßen Messungen gegen das Recht auf ein faires Verfahren. Diese Auffassung steht jedoch im direkten Widerspruch zur bundesweiten Rechtsprechungspraxis, wonach standardisierte Messverfahren grundsätzlich zuverlässig sind und nur bei konkreten Anhaltspunkten für Messfehler weitergehend überprüft werden müssen.

Warum dieser Vorlagebeschluss?

Das OLG Saarbrücken befindet sich in einem Dilemma: Einerseits ist es an die Rechtsprechung des saarländischen Verfassungsgerichtshofs gebunden, andererseits weicht diese erheblich von der bundesweiten Linie ab. Der Vorlagebeschluss gemäß § 121 Abs. 2 GVG zielt daher auf Rechtseinheit und Rechtssicherheit:

  1. Rechtliche Divergenz: Die unterschiedlichen Rechtsauffassungen führen zu einer ungleichen Behandlung von Betroffenen je nach Bundesland.
  2. Praxisrelevanz: Messgeräte ohne Rohmessdatenspeicherung (wie PoliScan Speed oder Leivtec XV3) sind bundesweit im Einsatz – tausende Verfahren sind betroffen.
  3. Grundsatzfrage: Es geht um die Abwägung zwischen effizienter Verkehrsüberwachung und dem Recht auf effektive Verteidigung.

Chancen für die Verteidigung

Der Vorlagebeschluss eröffnet neue Perspektiven in der Bußgeldverteidigung. Für Betroffene im Saarland steht die Verwertbarkeit von Messungen ohne Rohmessdaten weiterhin in Frage, was die Erfolgsaussichten von Einsprüchen erhöht.

Die kommende BGH-Entscheidung könnte weitreichende Konsequenzen haben:

  • Bei Bestätigung der saarländischen Position müssten Messgerätehersteller ihre Technologie bundesweit anpassen.
  • Bei Ablehnung würde die höchstrichterliche Rechtsprechung die Verteidigungsmöglichkeiten in standardisierten Verfahren neu definieren.

Ausblick

Die anstehende BGH-Entscheidung wird ein Meilenstein im Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht sein. Sie wird klären, welchen Stellenwert die Überprüfbarkeit von Messungen im Spannungsfeld zwischen Verfahrenseffizienz und Verteidigungsrechten einnimmt. Der Vorlagebeschluss des OLG Saarbrücken hat diese zentrale Rechtsfrage nun auf die höchstrichterliche Agenda gesetzt – mit potenziell weitreichenden Folgen für die zukünftige Bußgeldpraxis in Deutschland.

Wir. Verteidigen. Sie.
Ihre Ansprechpartnerin
RAin Ronja Schulzke

 

Quellen: OLG Saarbrücken, Beschluss vom 29. Oktober 2024, 1 Ss (OWi) 112/24; VerfGH Saarland, Urteil vom 5. Juli 2019, Lv 7/17; BGH, Beschluss vom 30. Oktober 1997, 4 StR 24/97; OLG Oldenburg, Beschluss vom 9. September 2019, 2 Ss (OWi) 233/19; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 8. Januar 2020, 3 Rb 33 Ss 763/19

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