Unmenschliche Haftbedingungen in Griechenland?
und deren Relevanz für Auslieferungsverfahren….
Die Frage, ob in Griechenland unmenschliche Haftbedingungen bestehen, die eine Auslieferung verhindern könnten, ist komplex und erfordert eine Analyse sowohl der aktuellen Lage in griechischen Haftanstalten als auch der rechtlichen Standards, die in Auslieferungsverfahren gelten. Im Folgenden werden die relevanten Aspekte beleuchtet, einschließlich möglicher Entscheidungen, die eine Auslieferung nach Griechenland ausschließen könnten.
Haftbedingungen in Griechenland: Berichte und Kritik
In der Vergangenheit wurden die Haftbedingungen in Griechenland wiederholt von internationalen Organisationen kritisiert, insbesondere vom Europäischen Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT). Berichte, wie etwa der CPT-Bericht vom 16. Oktober 2014, wiesen auf folgende Probleme hin:
- Überbelegung: Viele griechische Haftanstalten sind überfüllt, was zu beengten Verhältnissen führt. In einigen Fällen standen Gefangenen weniger als 3 Quadratmeter persönlicher Raum zur Verfügung, was nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) als potenziell unmenschlich eingestuft wird.
- Unhygienische Zustände: Mangelnde sanitäre Einrichtungen, unzureichende Hygiene und schlechte Ernährung wurden dokumentiert, insbesondere in Haftzentren wie dem am Flughafen Athen.
- Gewalt und Misshandlung: Es gibt Berichte über Misshandlungen durch Polizeibeamte oder andere Insassen, die die Sicherheit der Gefangenen gefährden.
- Mangelnder Zugang zu Rechtsmitteln: In einigen Fällen fehlten wirksame Beschwerdeverfahren gegen Haftbedingungen, was gegen Artikel 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verstößt.
Ein markantes Beispiel ist das Urteil des EGMR im Fall M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (Beschwerde-Nr. 30696/09, Urteil vom 21. Januar 2011). Hier wurde Griechenland wegen unmenschlicher Haftbedingungen für Asylbewerber verurteilt, einschließlich überfüllter Zellen und unhygienischer Zustände. Diese Entscheidung führte dazu, dass Abschiebungen nach Griechenland im Rahmen der Dublin-II-Verordnung zeitweise ausgesetzt wurden, da sie gegen Artikel 3 EMRK (Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung) verstießen.
Neuere Berichte, wie der des CPT vom Juli 2024, bestätigen, dass trotz einiger Reformen Probleme wie Überbelegung und Pushbacks von Migranten weiterhin bestehen. Diese Berichte unterstreichen die Notwendigkeit, Haftbedingungen im Einzelfall genau zu prüfen.
Rechtliche Standards in Auslieferungsverfahren
In Auslieferungsverfahren innerhalb der EU, die auf einem Europäischen Haftbefehl (EHB) basieren, gilt das Prinzip des gegenseitigen Vertrauens. Dies bedeutet, dass Mitgliedstaaten grundsätzlich davon ausgehen, dass andere EU-Staaten rechtsstaatliche Standards einhalten. Allerdings gibt es Ausnahmen, insbesondere wenn eine „konkrete Gefahr“ unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne von Artikel 4 der Charta der Grundrechte der EU (GRCh) oder Artikel 3 EMRK besteht. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat dies in mehreren Entscheidungen klargestellt, etwa im Urteil vom 15. Oktober 2019 (Az. C-128/18), wo festgelegt wurde, dass Gerichte die Haftbedingungen im Zielstaat genau prüfen müssen, wenn Anhaltspunkte für systemische Mängel vorliegen.
Die Prüfung erfolgt in zwei Schritten:
- Allgemeine Haftsituation: Liegen objektive, zuverlässige und aktuelle Berichte vor, die auf systemische oder allgemeine Mängel in den Haftbedingungen hinweisen?
- Individuelle Gefahr: Besteht für die betroffene Person eine konkrete Gefahr, unmenschlichen oder erniedrigenden Bedingungen ausgesetzt zu sein, basierend auf den spezifischen Umständen (z. B. Haftanstalt, Gesundheitszustand)?
Deutsche Gerichte sind gemäß § 73 IRG verpflichtet, eine Auslieferung abzulehnen, wenn eine solche Gefahr besteht. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) betont zudem, dass die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) nicht durch eine Auslieferung verletzt werden darf, etwa durch grausame oder unmenschliche Strafen.
Entscheidungen, die eine Auslieferung nach Griechenland verhindern
Es gibt mehrere Entscheidungen deutscher Gerichte, die eine Auslieferung nach Griechenland aufgrund von Haftbedingungen für unzulässig erklärt haben:
- OLG Stuttgart, Beschluss vom 08.06.2016 (1 Ausl. 321/15): Das Gericht stellte fest, dass die Zulässigkeit von Auslieferungshaft eine individuelle Zusicherung Griechenlands erfordert, dass der Beschuldigte in einer Haftanstalt untergebracht wird, die den Standards der EMRK und den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen entspricht. Abstrakte Zusicherungen genügen nicht. Ohne solche Zusicherungen wurde die Auslieferung abgelehnt.
- OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.12.2015 (III-3 AR 15/15): Hier wurde ebenfalls eine konkrete, auf den Beschuldigten bezogene Zusicherung gefordert, die die Haftbedingungen detailliert beschreibt. Da eine solche Zusicherung fehlte, wurde die Auslieferung nicht bewilligt
- Allgemeine Rechtsprechung: In den Jahren 2015–2016 waren deutsche Gerichte besonders zurückhaltend, Auslieferungen nach Griechenland zu bewilligen, da Berichte des CPT und des Auswärt Ninaus über die schlechten Haftbedingungen in Griechenland dokumentierten. Diese Entscheidungen spiegeln die damalige Skepsis wider, dass die Haftbedingungen in Griechenland menschenrechtswidrig sein könnten.
Fazit
In Griechenland bestehen nach wie vor Haftbedingungen, die in bestimmten Einrichtungen als unmenschlich oder erniedrigend eingestuft werden könnten, insbesondere aufgrund von Überbelegung, unhygienischen Zuständen und Gewaltvorwürfen. Entscheidungen wie die des OLG Stuttgart (2016) und OLG Düsseldorf (2015) zeigen, dass deutsche Gerichte Auslieferungen nach Griechenland ablehnen, wenn keine individuelle Zusicherung vorliegt, dass die Haftbedingungen den EMRK-Standards entsprechen. Im Fall des OLG Frankfurt (2 OAusA 24/25) wurde die Auslieferung zwar bewilligt, doch die Entscheidung könnte angefochten werden, falls konkrete Beweise für menschenrechtswidrige Haftbedingungen vorgelegt werden. Für Strafverteidiger ist es entscheidend, aktuelle Berichte (z. B. CPT) und die individuelle Situation des Beschuldigten zu nutzen, um eine Auslieferung anzufechten.