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Auslieferung trotz Abschiebeverbot

Der Beschluss des OLG Frankfurt am Main vom 25. März 2025 (2 OAusA 24/25)

Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat mit seinem Beschluss vom 25. März 2025 (Az. 2 OAusA 24/25) die Auslieferung eines afghanischen Staatsangehörigen nach Griechenland zur Vollstreckung einer dort verhängten Freiheitsstrafe für zulässig erklärt. Dieser Beschluss ist bemerkenswert, da er trotz eines bestehenden Abschiebeverbots nach Afghanistan erging. Als Strafverteidiger beleuchten wir die Gründe für diesen Beschluss, erläutern seine Bedeutung und diskutieren, warum er möglicherweise eine Ausnahme in der Praxis der Auslieferungsverfahren darstellt.

 

Hintergrund des Verfahrens

Der Fall betrifft einen Europäischen Haftbefehl (EHB), der von griechischen Behörden ausgestellt wurde. Der Beschuldigte, ein afghanischer Staatsangehöriger, wurde in Griechenland im Oktober 2024 in Abwesenheit zu einer sechsjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Ihm wurde vorgeworfen, im Jahr 2020 am Flughafen Thessaloniki einem anderen afghanischen Staatsangehörigen einen echten afghanischen Pass sowie einen deutschen Aufenthaltstitel übergeben zu haben, um dessen illegale Ausreise nach Österreich zu ermöglichen. Die griechische Polizei erkannte das Täuschungsmanöver, und der Beschuldigte wurde verurteilt.

Der Beschuldigte war 2016 unerlaubt nach Deutschland eingereist, und sein Asylantrag wurde abgelehnt. Aufgrund eines befristeten Abschiebeverbots nach Afghanistan aus humanitären Gründen erhielt er jedoch einen vorübergehenden Aufenthaltstitel in Deutschland. Im Februar 2025 wurde er am Frankfurter Flughafen aufgrund des EHB festgenommen. Das OLG Frankfurt am Main prüfte die Zulässigkeit der Auslieferung gemäß dem Gesetz über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) und erklärte sie für zulässig.

 

Warum wurde der Beschluss erlassen?

Der Beschluss des OLG Frankfurt am Main wurde aus folgenden Gründen erlassen:

  1. Doppelte Strafbarkeit: Das Gericht stellte fest, dass die dem Beschuldigten vorgeworfene Tat – Missbrauch von Ausweispapieren – sowohl nach griechischem als auch nach deutschem Recht strafbar ist (§ 3 IRG). Diese sogenannte doppelte Strafbarkeit ist eine grundlegende Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Auslieferung.
  2. Kein Hindernis durch Abschiebeverbot: Das OLG entschied, dass das befristete Abschiebeverbot nach Afghanistan aus humanitären Gründen der Auslieferung nach Griechenland nicht entgegensteht. Es argumentierte, dass der Beschuldigte durch seine Handlungen – die Beihilfe zur illegalen Ausreise eines Dritten – bewiesen habe, dass eine Ausreise in einen anderen Staat für ihn möglich und zumutbar sei. Das Abschiebeverbot bezieht sich speziell auf Afghanistan und nicht auf andere EU-Mitgliedstaaten wie Griechenland.
  3. Kein gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland: Nach § 83b IRG kann eine Auslieferung verweigert werden, wenn der Beschuldigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat. Das OLG stellte jedoch fest, dass der Beschuldigte keinen solchen Aufenthalt begründet hat. Sein Aufenthalt in Deutschland basiert lediglich auf dem befristeten Abschiebeverbot, was keinen privilegierten Status im Sinne der internationalen Rechtshilfe begründet.
  4. Formelle Anforderungen erfüllt: Das Gericht prüfte, dass alle formellen Voraussetzungen für die Auslieferung erfüllt waren, einschließlich der Vollständigkeit der Unterlagen des EHB. Auch die Tatsache, dass das griechische Urteil in Abwesenheit ergangen war, stellte kein Hindernis dar, da die griechischen Behörden zusicherten, das Urteil nach Übergabe des Beschuldigten ordnungsgemäß zuzustellen und dem Beschuldigten ein Rechtsmittel einzuräumen.
  5. Vertrauen in das griechische Justizsystem: Der Beschluss beruht auf dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens in der EU-Justizkooperation. Das OLG sah keinen Grund, die rechtsstaatliche Qualität des griechischen Verfahrens oder die Haftbedingungen in Griechenland in Zweifel zu ziehen, was eine Auslieferung hätte verhindern können (§ 73 IRG).

 

Warum ist dieser Beschluss wichtig?

Der Beschluss des OLG Frankfurt am Main ist aus mehreren Gründen von Bedeutung:

  1. Klärung der Rolle von Abschiebeverboten: Der Beschluss zeigt, dass ein Abschiebeverbot in das Herkunftsland nicht automatisch eine Auslieferung in einen anderen EU-Mitgliedstaat verhindert. Dies ist ein wichtiger Präzedenzfall für Fälle, in denen Beschuldigte mit unsicherem Aufenthaltsstatus in Deutschland in Auslieferungsverfahren verwickelt sind.
  2. Stärkung der EU-Justizkooperation: Der Beschluss unterstreicht das Prinzip des gegenseitigen Vertrauens, das die Grundlage des Europäischen Haftbefehls bildet. Er zeigt, dass deutsche Gerichte dazu neigen, Auslieferungsanträge aus EU-Staaten zu bewilligen, solange keine gravierenden rechtsstaatlichen Bedenken bestehen.
  3. Verteidigungsmöglichkeiten in Auslieferungsverfahren: Für Strafverteidiger bietet der Beschluss Ansatzpunkte, um in ähnlichen Fällen die Verhältnismäßigkeit der Auslieferung oder die Frage des gewöhnlichen Aufenthalts zu prüfen. Gleichzeitig verdeutlicht er die hohen Hürden, die überwunden werden müssen, um eine Auslieferung zu verhindern.
  4. Signalwirkung für die Praxis: Der Beschluss könnte Auswirkungen auf die Behandlung von Auslieferungsanträgen haben, insbesondere in Fällen, in denen Beschuldigte aufgrund humanitärer Abschiebeverbote in Deutschland verbleiben. Er verdeutlicht, dass solche Verbote nicht automatisch einen Schutz vor Auslieferung bieten.

 

Warum ist dieser Beschluss möglicherweise eine Ausnahme?

Trotz seiner Bedeutung könnte der Beschluss in der Praxis eine Ausnahme darstellen, aus folgenden Gründen:

  1. Spezifische Umstände des Falls: Der Beschluss beruht auf den besonderen Umständen des Beschuldigten, der durch seine Handlungen (Beihilfe zur illegalen Ausreise) zeigte, dass eine Ausreise in andere Staaten für ihn zumutbar ist. In Fällen, in denen solche Umstände fehlen, könnten Gerichte anders entscheiden, insbesondere wenn stärkere Bindungen an Deutschland bestehen.
  2. Abgrenzung zu rechtsstaatlichen Bedenken: In diesem Fall gab es keine Anhaltspunkte für rechtsstaatliche Mängel im griechischen Verfahren oder in den Haftbedingungen. In anderen Fällen, in denen solche Bedenken bestehen (z. B. bei Auslieferungen in Länder mit dokumentierten Menschenrechtsverletzungen), könnten Gerichte die Auslieferung ablehnen, selbst wenn die formellen Voraussetzungen erfüllt sind.
  3. Dominanz des gegenseitigen Vertrauens: Das System des Europäischen Haftbefehls basiert auf dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen EU-Mitgliedstaaten. Ausnahmen von der Auslieferung sind selten und erfordern konkrete Nachweise von Verstößen gegen grundrechtliche Standards. Der vorliegende Beschluss entspricht der Regel, da er die Auslieferung bewilligt, und stellt nur insofern eine Ausnahme dar, als er trotz eines Abschiebeverbots erging.
  4. Einzelfallbezogene Prüfung: Auslieferungsentscheidungen sind stark von den Umständen des Einzelfalls abhängig. Die Feststellung, dass der Beschuldigte keinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte, könnte in anderen Fällen, in denen solche Bindungen bestehen, zu einer anderen Entscheidung führen. Ebenso könnte eine stärkere Berücksichtigung des Gesundheitszustands oder anderer persönlicher Umstände die Verhältnismäßigkeitsprüfung beeinflussen.
  5. Unmenschliche Haftbedingungen in Griechenland: In der Vergangenheit wurden die Haftbedingungen in Griechenland wiederholt von internationalen Organisationen kritisiert, insbesondere vom Europäischen Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT). Berichte weisen auf folgende Probleme hin: Überbelegung, unhygienische Zustände, Gewalt und Misshandlung sowie mangelnder Zugang zu Rechtsmitteln

 

Bedeutung für die Verteidigungspraxis

Für Strafverteidiger bietet der Beschluss sowohl Herausforderungen als auch Chancen. Er verdeutlicht, dass Auslieferungsverfahren innerhalb der EU oft auf dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens basieren, was die Hürden für eine erfolgreiche Verteidigung erhöht. Gleichzeitig können Verteidiger in ähnlichen Fällen prüfen, ob rechtsstaatliche Mängel im ersuchenden Staat, ein gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland oder unverhältnismäßige Härten (z. B. Gesundheitszustand) geltend gemacht werden können. Der Beschluss zeigt auch, dass Abschiebeverbote nicht automatisch einen Schutz vor Auslieferung bieten, was in der Beratung von Mandanten mit unsicherem Aufenthaltsstatus berücksichtigt werden muss.

 

Anwendung auf den Fall des OLG Frankfurt (2 OAusA 24/25)

Im konkreten Fall des Beschlusses des OLG Frankfurt am Main vom 25. März 2025 (2 OAusA 24/25) wurde die Auslieferung eines afghanischen Staatsangehörigen nach Griechenland zur Vollstreckung einer sechsjährigen Freiheitsstrafe für zulässig erklärt. Das Gericht ging davon aus, dass keine konkreten Anhaltspunkte für rechtsstaatliche Mängel oder unmenschliche Haftbedingungen in Griechenland vorliegen, die der Auslieferung entgegenstehen. Es berief sich auf das Prinzip des gegenseitigen Vertrauens und die Zusicherung Griechenlands, dass dem Beschuldigten nach der Auslieferung ein Rechtsmittel gegen das Abwesenheitsurteil gewährt wird.

Allerdings erwähnt der Beschluss keine detaillierte Prüfung der Haftbedingungen in der vorgesehenen griechischen Haftanstalt. Angesichts der oben genannten Rechtsprechung (z. B. OLG Stuttgart, OLG Düsseldorf) könnte dies ein potenzieller Angriffspunkt für eine Verfassungsbeschwerde sein, falls der Beschuldigte nachweisen kann, dass er in einer spezifischen Haftanstalt unmenschlichen Bedingungen ausgesetzt wäre. Ohne eine individuelle Zusicherung Griechenlands über die Einhaltung der EMRK-Standards könnten höhere Gerichte, wie das BVerfG, die Entscheidung aufheben, wie es in ähnlichen Fällen (z. B. Rumänien, BVerfG, Beschluss vom 01.12.2020, 2 BvR 1845/18) geschehen ist

 

Mögliche Ausnahmecharakter des Beschlusses

Der Beschluss des OLG Frankfurt könnte eine Ausnahme darstellen, da er die Auslieferung trotz eines Abschiebeverbots nach Afghanistan zuließ, was auf die spezifischen Umstände des Falls zurückzuführen ist (z. B. die Handlung des Beschuldigten, die seine Mobilität bewies). Zudem scheint das Gericht keine konkreten Bedenken hinsichtlich der griechischen Haftbedingungen gehabt zu haben, was in anderen Fällen, in denen solche Bedenken bestanden, zu einer Ablehnung der Auslieferung führte. Die Rechtsprechung zeigt, dass Auslieferungen nach Griechenland nicht automatisch ausgeschlossen sind, aber eine strenge Prüfung der Haftbedingungen erforderlich ist, insbesondere wenn aktuelle Berichte über Mängel vorliegen.

 

Fazit

Der Beschluss des OLG Frankfurt am Main vom 25. März 2025 (2 OAusA 24/25) ist ein bedeutender Präzedenzfall, der die Zulässigkeit der Auslieferung eines Afghanen nach Griechenland trotz eines Abschiebeverbots nach Afghanistan bestätigt. Er wurde erlassen, weil die Tat nach deutschem und griechischem Recht strafbar ist, das Abschiebeverbot die Auslieferung nicht verhindert und alle formellen Voraussetzungen erfüllt waren. Seine Bedeutung liegt in der Klärung der Rolle von Abschiebeverboten und der Stärkung der EU-Justizkooperation. Dennoch könnte er eine Ausnahme bleiben, da er auf spezifischen Umständen beruht und die Praxis der Auslieferung stark vom Einzelfall abhängt. Als Strafverteidiger werden wir diesen Beschluss nutzen, um die Rechte unserer Mandanten in Auslieferungsverfahren konsequent zu verteidigen.

Wenn Sie Fragen zu diesem Thema haben oder Unterstützung in einem Auslieferungsverfahren benötigen, stehen wir Ihnen mit unserer Expertise zur Verfügung.

 

Wir. Verteidigen. Sie.
Ihre Ansprechpartner
RA Philipp Marquort
RAin Ronja Schulzke

Quellen: OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 25. März 2025, 2 OAusA 24/25; Recht & Politik, 22. April 2025.

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