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Volksverhetzung vs. Meinungsfreiheit: Wo verläuft die Grenze?

Aktuelle Entscheidung des LG Gera zeigt die feinen Unterschiede im Strafrecht

Eine aktuelle Entscheidung des Landgerichts Gera vom 25. Juli 2025 verdeutlicht einmal mehr, wie komplex die rechtliche Bewertung von Äußerungen im Spannungsfeld zwischen Meinungsfreiheit und Volksverhetzung sein kann. Der Fall um einen Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichts Gera wirft wichtige Fragen zur Auslegung des § 130 StGB auf.

 

Der Fall im Überblick

Im Zentrum des Verfahrens stand ein Facebook-Kommentar aus dem Jahr 2019. Der Angeschuldigte hatte in einer Gruppe mit über 3.000 Mitgliedern für Sinti und Roma die Bezeichnung „Rotationseuropäer mit Eigentumszuordnungsschwäche?“ vorgeschlagen. Dieser Kommentar bezog sich auf einen verlinkten Artikel über polizeiliche Sprachregelungen in Bayern.

Die Staatsanwaltschaft sah darin eine Volksverhetzung nach § 130 StGB und erhob Anklage beim Landgericht – aufgrund der besonderen Bedeutung des Falls direkt vor der höheren Instanz.

 

Die Entscheidung: Keine Strafbarkeit trotz Verachtung

Das Landgericht Gera lehnte die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Die Begründung ist juristisch bemerkenswert und zeigt die hohen Hürden für eine Verurteilung wegen Volksverhetzung auf:

 

Klare Distanzierung, aber kein Straftatbestand

Die 3. Strafkammer stellte unmissverständlich fest:

  • Die Ausdrucksweise sei „verächtlich“
  • Die Volksgruppe der Sinti und Roma werde „unzweifelhaft verächtlich gemacht“
  • Das Gericht distanziert sich ausdrücklich von dieser Wortwahl

Dennoch sah das Gericht keine Strafbarkeit gegeben.

 

Der entscheidende Unterschied: Menschenwürde vs. Ehrverletzung

Das Gericht machte eine wichtige rechtliche Unterscheidung:

 

Für Volksverhetzung reicht nicht aus:

  • Beeinträchtigung der Ehre
  • Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
  • Diskriminierende Eigenschaftszuschreibungen

Erforderlich ist ein Angriff auf die Menschenwürde:

  • Der Mensch muss „im Kern seiner Persönlichkeit“ getroffen werden
  • Darstellung als „minderwertig“ unter Missachtung des Gleichheitssatzes
  • Bestreitung des „Lebensrechts in der Gemeinschaft“
  • Versetzung in den „Objektstatus“

Die rechtliche Einordnung

Das Gericht kam zu dem Schluss: Obwohl die Äußerung Sinti und Roma als „reisende Diebesbande“ verunglimpft und diskriminierende Eigenschaften zuschreibt, charakterisiert sie diese nicht als „unterwertige Wesen“ und spricht ihnen nicht das Lebensrecht in der Gemeinschaft ab.

Praktische Bedeutung für Betroffene

Diese Entscheidung zeigt: Nicht jede diskriminierende oder verletzende Äußerung erfüllt automatisch den Straftatbestand der Volksverhetzung. Die Hürden sind bewusst hoch angesetzt, um die Meinungsfreiheit zu schützen – auch wenn die Meinungsäußerung abstoßend ist.

Trotzdem können solche Äußerungen andere rechtliche Konsequenzen haben:

  • Zivilrechtliche Ansprüche auf Unterlassung
  • Schadensersatzforderungen
  • Disziplinarische Maßnahmen im Beruf
  • Reputationsschäden

Was bedeutet das für Sie?

Wenn Sie von diskriminierenden Äußerungen betroffen sind:

Auch wenn keine Volksverhetzung vorliegt, stehen Ihnen möglicherweise andere Rechtsmittel zur Verfügung. Eine rechtliche Beratung kann klären, welche Optionen bestehen.

Wenn Ihnen Volksverhetzung vorgeworfen wird:

Die Entscheidung zeigt: Eine sorgfältige rechtliche Prüfung ist essentiell. Nicht jede problematische Äußerung ist automatisch strafbar. Gleichzeitig sollten Sie sich bewusst sein, dass auch nicht-strafbare Äußerungen erhebliche persönliche und berufliche Konsequenzen haben können.

Fazit: Rechtliche Komplexität erfordert Expertise

Der Fall verdeutlicht die Komplexität des Volksverhetzungsstrafrechts und die Notwendigkeit einer differenzierten rechtlichen Bewertung. Die Grenzen zwischen strafbarer Volksverhetzung, zivilrechtlichen Ansprüchen und geschützter Meinungsäußerung sind oft fließend.

Bei Vorwürfen der Volksverhetzung oder diskriminierenden Äußerungen ist schnelles und kompetentes Handeln gefragt. Nur eine fundierte rechtliche Analyse kann die tatsächlichen Risiken und Handlungsoptionen aufzeigen.

 

Rechtliche Unterstützung in komplexen Fällen

Stehen Sie vor ähnlichen Vorwürfen oder sind von diskriminierenden Äußerungen betroffen? Handeln Sie umgehend!

Die Strafverteidiger-Kanzlei Philipp Marquort in Kiel steht Ihnen mit über 21 Jahren Erfahrung zur Seite. Rechtsanwalt Philipp Marquort und seine Kollegin Ronja Schulzke analysieren Ihren Fall sorgfältig und entwickeln die optimale Verteidigungsstrategie.

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